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Nachwirkung der Mafia 1

AYDEMİR GÜLER

Die Türkei leidet noch einmal unter dem Mafia-Syndrom. Die Rede darüber, was für Nachwirkungen dieses Mal in Erscheinung kommen würden, sind verschiedenartig.

Der blutige Angriff gegen die HDP2 ist sicherlich eine von diesen Nachwirkungen. Es wäre eigentlich Leichtsinnigkeit gewesen, zu denken, dass die schwere und vieldimensionale Krise, die von den Mafiabeziehungen noch untragbar gemacht wurde, kein Blut produzieren und nicht mit Blut zusammen gestrickt werden würde. Attentate und Massakern sind die wichtigsten politischen Instrumente in dem System der Bourgeoisie. Da die Krise erscheint, nicht leicht überwinden werden kann, sieht es so aus, dass die Türkei eine Weile mit diesem Instrument zusammenleben wird. Jedes Mal, wenn eine ähnliche Periode eintrete, wird den Linken dazu aufgezwungen, die Verbindung zwischen der Aufgabe des Kampfes gegen Faschismus und dem Ziel der sozialistischen Revolution zu aktualisieren. Dies ist aber ein anderes Thema.

Die Peker-Version des Mafia-Syndroms unterscheidet sich von der Susurluk-Version3, von der fünfundzwanzig Jahren vergangen sind. Die 1990-er-Jahren war eine interessante Dekade für den Kapitalismus der Türkei. Einerseits gab es den Bedarf zur Normalisierung, andererseits konnten die Räder des Systems nur durch die Festigung der Reaktion wie in den Tagen des Putsches der Reaktion weitergerollt werden. Der Faktum der Mafiawerdung ist die Synthese der Praktiken des faschistischen Putsches, der die Rahmenbedingungen für den Herrschenden schafften, der religiösen Reaktion, die mit dem Aushängeschild der „türkisch-islamische-Synthese“ vermarktet und in die offizielle Ideologie verwandelt wurde, und der Bedürfnis, die oppositionellen gesellschaftlichen Dynamiken unter Kontrolle zu nehmen und einer sonderlichen Normalisierung mit den Parteien ANAP, DYP, SHP.4 Sie wollten alles tun und lassen, die sie sich wünschten, als ob der Putsch nicht beendet wäre, aber auch die Normalisierung kritikfrei zu bewahren.

Als Endresultat gingen die Räder des Systems in den Untergrund. Nicht nur die Sicherheitspolitik der Türkei war Mafia-ähnlich geworden, sondern auch ihre Wirtschaft und Außenpolitik. Man nannte diese Ebenen mit verschieden Namen. Den meisten geläufige Benennung war „der schmutzige Krieg“ benannt. Die kreativste kam von Yalcin Kücük, der feststellte, dass die ersten Buchstaben des Tourismus, Bauwesen und Textilindustrie den Namen der Vergeltungsbrigaden, ein Zweig der Konterguerilla, bildeten. Die Türkei versuchte den ehemaligen Sowjet-Boden mit Putschszenarien und Sektenschulen durchdringen.

Es ist gar nicht erforderlich, dass eine solche faktische Gegebenheit mit dem System der Bourgeoisie in Widerspruch steht. Aber sobald die imperialistischen Zentren angefangen haben, das Projekts der Formatierung der Türkei adäquat zu der Neuen Welt zu skizzieren und dies bei unseren Großkapitalisten und den Herrschern Akzeptanz zu finden, kam die Zeit, an der ein Auto mit einem Lastwagen kollidieren sollte. Es ist nicht wichtig, wie dieser Unfall stattfand. Wenn es nicht so wäre, musste es in einer anderen Weise kommen.

Das Leben der Gesellschaften formiert sich nicht durch Komplotte, sondern als Ergebnis des Gerangels von unzähligen Akteuren im Klassenkampf. Es ist absurd zu denken, dass die neue Formatierung der Türkei, in deren Zentrum die Islamisten standen, als die Inszenierung ein vorher geschriebenes Szenario gewesen. Aber eine Abweichung von den Grundlinien des Maßanzugs, der von dem Kapitalisten und Imperialisten genäht wurde, fand nicht statt.

Der Wunsch des Imperialismus wurde erfüllt. Die Türkei wurde von all ihren sozialen und national-staatlichen Rücklagen befreit und zur Plünderung geöffnet. Der Wunsch der Kapitalisten wurde erfüllt. Das Gewaltteilungssystem wurde vernichtet. Sogar mit der Präsidentschaft wurde das System in die Bekleidungsverwaltung der Handlungen der Reichen angepasst. Nachdem endlich die Islamisten als der Träger der neuen Formatierung akzeptiert wurden, wurde auch der Wunsch der Imame erfüllt. Der Laizismus wurde abgebaut, die Gesellschaft wurde islamisiert. All das geschah während der Demagogie der Demokratisierung unter dem Deckmantel der Lösung des Kurdenproblems vermarktet wurde. Die Akzeptanz der Gesellschaft wurde überwiegend so erschaffen.

Es ist natürlich nicht möglich diese Umwandlung in den Unfallwagen einzuquetschen. Es wurde halsabschneiderische Kämpfe geliefert. Zum Beispiel resistierten manche Akteure, die ein Teil der herrschenden Kreise der Türkei beeinflussen, den Privatisierungen. Da entstand ein links zugeneigter Nationalismus, der sich auf den alten Staatsmechanismus stützte. Der Laizismus wurde in eine von der Gesellschaft verinnerlichte Frontlinie gewachsen. Nun als eine allgemeine Kurzfassung wurde die in Susurluk geborene Hoffnung der

Diejenigen, die heute von dem Mafia-Syndrom eine „Darmentleerung“ erwarten, müssen zuerst fragen, ob eine ähnliche Umwandlungsprogrammexistenz finden würde oder nicht. Dies muss aber eine sehr ernsthafte Befragung sein. Ich kann solche Ideen nicht ernst nehmen wie z. B. dass der Kapitalismus in eine neu grüne Vereinbarung neigt, dass Biden eine Demokratisierungswelle repräsentiert, die autokratischen populistischen Rechte ausfegen wird, oder dass die Großkapitalisten in der Türkei sich eine parlamentarische Demokratie wünschen.

Der Krisenzustand bereitet selbstverständlich einen günstigen Boden für die Suche nach Auswegen und Projekte der Reformierung. Der Erdbeben, dessen Teil auch der Mafia-Syndrom ist, ist sehr breit und tief. Natürlich wird jedes Machtzentrum, der sich behauptet, wird in Vorbereitung sein. Nun, als die eventuelle Entwicklungsrichtung der vom Susurluk-Unfall erschütterte Türkei mehr oder weniger bekannt war, ist die Sache heute unvergleichlich komplex wurde. Wenn es so ist, müssen auch die Linke sich vorbereiten. Aber nicht mit Demokratie geschminkten, auswendig gelernten Formulierungen, sondern ernsthaft. Ernsthaft, um die Finsternis fortzureißen.

1 Aydemir Güler ist ein ehem. Mitglied der ZK und Abgeordnetenkandidat der TKP. Diese Artikel wurde in dem Internet-Zeitung de TKP soL am 19.06.2021 veröffentlicht. (https://haber.sol.org.tr/yazar/mafya-etkisi-307433)

2 Am 17.06.2021 wurde das Gebäude der kurdischen Partei HDP in Izmir von bewaffneten Männern attackiert Eine junge Frau, die sich dort befand, wurde totgeschossen. Später wurde festgestellt, dass dieses Attentat gegen eine Mitgliederversammlung, die kurzzeitig verschoben wurde, geplant. Der Mörder hatte vor, mit seiner automatischen Waffe etwa 40 Mitglieder dieser Partei zu ermorden.

3 Susurluk-Skandal: siehe den Artikel „Die Entstehung der Gladio in der Türkei“ in diesem Dossier.

4 ANAP, DYP, SHP: Die politischen Parteien der 90-Jahre. Während die ANAP und DYP als konservative bürgerliche Parteien galten, war SHP als sozialdemokratische Partei bekannt.