Syrien wird nach imperialistischer Absprache zerschlagen*
Kemal Okuyan, Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Türkei, 07.12.2024
Dschihadistische Gruppen, die mit Hayat Tahrir al-Sham (HTS) verbunden sind, und die von der AKP unterstützte Syrische Nationalarmee, die am 27. November eine Offensive in Syrien startete, sind weiter auf dem Vormarsch. Kemal Okuyan, Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP), hat auf seinem X-Account eine Einschätzung der Entwicklungen in Syrien abgegeben:
„Der US-Imperialismus und die dschihadistische Koalition haben die gesamte Region nach ihren Vorstellungen entworfen.“
Es gibt nichts Unbekanntes an dem, was in Syrien geschieht. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bestand eines der wichtigsten Instrumente der imperialistischen Aggression, die als „Neue Weltordnung“ bezeichnet wurde, darin, Länder zu zerschlagen und die Welt in kleine Einheiten aufzuteilen. Einige begrüßten dies als „jede Nation hat das Recht auf Staatlichkeit“, andere versuchten es zu vereinfachen als „die Nationalstaaten werden angegriffen“. Seitdem haben wir versucht zu erklären, dass es sich um eine reine Klassenfrage handelt, dass die multinationalen Monopole keine Beschränkungen des Kapitalverkehrs, der Ausbeutung der Arbeiter:innen und der Aneignung der natürlichen Reichtümer wollen. Das Problem ist nicht wirklich national, sondern klassenbedingt.
Es war klar, dass die neuen Einheiten, die durch imperialistische Interventionen und Kriege geschaffen wurden, dem Imperialismus dienen würden. Wir sehen, wie es auf dem Balkan aussieht. Die Operation „Arabischer Frühling“ war ein Projekt, um die Operation, die auf dem Balkan begonnen hatte, auf den Nahen Osten auszuweiten, indem die berechtigten Reaktionen der armen Völker ausgenutzt wurden. Syrien trat dem Arabischen Frühlingunter der Herrschaft von Assad bei, der sich auf die Bequemlichkeit repressiver Mechanismen stützte und glaubte, durch liberale Praktiken, die die Reaktion der armen Völker auf sich zogen, eine Verständigung mit dem Westen zu erreichen.
Als jedoch ein Teil der syrischen Bevölkerung die Gefahr erkannte, die von den Dschihadisten und der imperialistischen Aggression reaktionärer Regierungen in der Region ausging, und begann, Widerstand zu leisten, stellte sich Assad an die Spitze dieses Widerstands.
Der Grund für den Hass der AKP und anderer reaktionärer Regierungen in der Region auf Assad liegt auf der Hand: Ohne Assads entschlossene Haltung hätten der US-Imperialismus und die dschihadistische Koalition die gesamte Region nach ihren Vorstellungen gestaltet. Iran und Russland stärkten diesen Widerstand, zweifellos in ihrem eigenen Interesse, und konnten Syrien nicht zu Fall bringen.
Sie wissen sehr wohl,
dass die Unterstützung für Israel klassenbedingte Gründe hat.
Da es sich jedoch nicht um eine nationale, sondern um eine Klassenfrage handelte, blieben die Gesetze des Kapitalismus in Kraft. In Syrien, das des Krieges überdrüssig war, wurde keine Wirtschaftspolitik umgesetzt, die von der werktätigen Bevölkerung unterstützt worden wäre, und die Assad-Regierung, die glaubte, dass „die Gefahr vorüber sei“, begann, den Pessimismus der Bevölkerung mit einer neuen liberalen Politik zu verstärken. Auf der anderen Seite basierte die sogenannte „Widerstandsfront“ oder allgemeiner die BRICS, die als Alternative zu dem von den USA geführten Bündnissystem dargestellt wurde, auf dem kapitalistischen Ausbeutungssystem wie die USA und ihre Verbündeten. Im Kapitalismus gibt es keine Prinzipien, sondern nur Konkurrenz, Konflikte und Interessenpartnerschaften.
Was ist mit dem palästinensischen Volk geschehen? Diejenigen, die den palästinensischen Widerstand für die gegenwärtige Situation verantwortlich machen und sagen: „Wenn sie Israel nur nicht provoziert hätten“, wissen sehr wohl, dass hinter der offenen Unterstützung der USA und ihrer Verbündeten und der schüchternen Unterstützung Israels durch den Rest der Welt Klassenmotive stehen. Israel und das jüdische Kapital im Allgemeinen sind sehr mächtig, die Menschen in Gaza sind arm, und die wenigen palästinensischen Bosse haben sich in Kollaborateure verwandelt, die es meistens über die Runden schaffen.
Beginn neuer Würgegriffe im Verteilungskampf
Nun wird auch Syrien seinem Schicksal überlassen. Genauer gesagt, es wird im Rahmen eines Abkommens zerschlagen. Es ist ein imperialistisches Abkommen. Seit drei Monaten sagen wir, dass dieses Abkommen kommen wird. Jetzt kommt dieses „Abkommen“ aus den Mündern der „Führer“ in Syrien, die einer nach dem anderen unter der Schirmherrschaft des Imperialismus enthüllt und von den Monopolmedien hochgejubelt werden, als wäre es etwas Alltägliches. Es wird gesagt, im Austausch für Stützpunkte… Es wird gesagt, im Austausch für die Ukraine… Es wird gesagt, dass „der Iran und Russland sich auch nicht vertragen könnten“. Es wird gesagt und gesagt.
Der imperialistische Krieg hat unabsehbare Folgen, der imperialistische Frieden auch. Der Prozess ist nicht zu Ende. Kalkulationen gehen nicht auf, unerwartete Widerstände tauchen auf, neue Würgegriffe im Kampf um die Teilung beginnen. Deshalb kann und darf noch kein Schlussstrich gezogen werden.
Allerdings muss man sich über Folgendes im Klaren sein: Es ist unmöglich, den Imperialismus ohne eine Klassenperspektive zu bekämpfen und das Land ohne eine Klassenperspektive zu verteidigen. Das ist der Punkt, der durch die Interessenkonflikte zwischen den kapitalistischen Ländern, durch die „Sicherheitspolitik“, die gegen diese oder jene Nation oder Konfession entwickelt wird, erreicht werden soll.
Werden Sie aufatmen, wenn die dschihadistische Kommandeure sagen: „Die Türken sind unsere Freunde“?
Was die Türkei betrifft… Diejenigen, die viel Aufhebens machen, dass „ein kurdischer Staat entsteht“ und „HTS und PYD zusammenarbeiten“, haben jahrelang Erdoğans neo-osmanischer Politik gedient, und sie tun es auch jetzt. Was würde passieren, wenn die HTS nicht mit der PYD zusammenarbeiten würde? Ist die „Errichtung eines kurdischen Staates“ der Anfang und das Ende von allem, was heute in Syrien geschieht?
Oder die Frage lautet: Wenn die HTS, al-Nusra, al-Qaida, ISIS, FSA oder ihre Ableger östlich des Euphrat einmarschieren und von den Golanhöhen wieder abziehen und ganz Syrien in ein blutiges Kalifat verwandeln, und die dschihadistischen Kommandeure sagen: „Die Türken sind unsere Freunde“, werden Sie dann aufatmen?
Es wird welche geben, die das tun werden. Die Bau-, Lebensmittel-, Energie-, Textil-, Automobilmonopole, die Banken… Das ist nicht die Türkei, das sind diejenigen, die der Türkei das Knochenmark aussaugen.
Die Kapitalistenklasse schert sich nicht um Nationen, sie will Ausbeutung, Ausplünderung, Freizügigkeit, sie will die Werktätigen spalten, Nationen reichen nicht aus, sie schafft Mini-Nationalstaaten, sie hetzt Stämme. Davon gibt es viele in Syrien.
Jetzt gilt es, diesen Prozess bis zum Ende zu bekämpfen und zu verhindern, dass diese Schande legitimiert wird. Und dann? Der Kampf wird weitergehen.
Dieser Kampf ist gegen den Imperialismus, gegen den Reaktionismus, gegen die Ausbeutung. Er wird nicht enden!“
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* Dieser Artikel wurde am 07.12.2024 auf soL, dem Internetportal der TKP veröffentlicht: