An die Öffentlichkeit
Diese Presseerklärung wurde am 19. April 2021, an einer Pressekonferenz vor der Botschaft der Republik Türkei in Anwesenheit der VertreterInnen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) gelesen.
Das Amtsblatt vom 20. März 2021 kündigte gemäß einem Dekret des Präsidenten den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention an. Diese Entscheidung des AKP-Chefs Recep Tayyip Erdoğan, das in großen Teilen der Bevölkerung und insbesondere bei Frauen in der Türkei Gegenwirkung auslöste, leitet sich keineswegs improvisatorisch her. Es wäre auch verfehlt, den Grund für diesen Schritt, den unsere Partei als Angriff auf das Lebensrecht der Frauen ansieht, als Versuch zu betrachten, die Spaltungen innerhalb der AKP zu vereinen. Noch sollte es nicht auf die Bemühungen der Partei reduziert werden, die Stimmen der Sekten und reaktionären Kräfte bei den bevorstehenden Wahlen sicherzustellen. In einer Atmosphäre, in der der Präsident, der im Grunde Parteivorsitzender ist, klar und deutlich preisgibt, dass er die Verfassung nicht anerkennt, in der die Unabhängigkeit der Rechtsinstitutionen abgeschafft wird, in der das Parlament keine Funktion mehr hat und die Parlamentarier inhaftiert sind, wird es nicht ausreichend sein, das Problem ausschließlich auf rechtlicher Basis zu debattieren.
Denn dies ist tatsächlich ein neuer Schritt im Marsch der Frauenfeindlichkeit, einer der untrennbaren Bestandteile der ideologischen und politischen Grundlage der AKP ist.
Die Türkei stieg in allen internationalen Untersuchungen, Forschungen und Studien der letzten Jahre an die Spitze der Liste der Länder, in denen Gewalt gegen Frauen am weitesten verbreitet ist. Daran ist nichts Erstaunliches. Mit dem faschistischen Putsch vom 12. September begannen sich Sekten und suspekte Gemeinschaften im Staatskader zu etablieren, die vom Umfang her mit früher nicht zu vergleichen ist. Eine Vielzahl von Politikern haben sich reaktionäre und extremistische Ansichten als politische Methode angeeignet. Seit Recep Tayyip Erdogan und Führungskräfte der AKP an die Macht gekommen sind, nutzten sie jede Gelegenheit, Propagandamaterial zu frauenfeindlichen Ansichten zu liefern. Neben diesen Führungskräften verbreiteten auch die Medien die Fatwas und Äußerungen von Dilettanten und Fanatikern obskurer Herkunft, die Frauen demütigen und versuchen, sie einzusperren, indem sie sie auf die Position von Sklaven der Männer, Dienerinnen und Geburtsmaschinen zu reduzieren. Es kam sogar so weit, dass einige von ihnen den Frauen das Lachen und den Schwangeren die Straße verbieten wollten. Frauen mussten sich von Tayyip Erdogan, damals als Premierminister, anhören lassen, wie viele Kinder sie zur Welt bringen mussten.
Teile der Gesellschaft wurden unweigerlich von dieser weit verbreiteten Propaganda beeinflusst. Während die Gewalt gegen Frauen zu Hause, am Arbeitsplatz und auf der Straße zunahm, konnte man beobachten, dass sich die Polizei, die Staatsanwaltschaft und Richter gegenüber den Verbrechern tolerant verhielten. Die Polizei schickte Frauen, die sich wegen häuslicher Gewalt beschwerten, unter dem Vorwand “Familienschutz” wieder nach Hause. Frauenmörder erhielten Haftentlassung bis zum Prozess; sie legten sich Krawatten um und zeigten Reue, somit kamen sie mit leichten Strafen davon. Während Betroffene häuslicher Gewalt keinen Schutz finden konnten, bereiteten sich die Verbrecher auf freiem Fuß auf ihren neuen Angriff vor.
Unter diesen Umständen wirkte die Mitgliedschaft der Türkei an der Istanbul-Konvention, trotz einiger Mängel, für Frauen als eine wichtige Staffel im Kampf gegen Gewalt. Obwohl dieses Abkommen und seine Regelungen vonseiten der Polizei, der Richter und Staatsanwälte größtenteils ignoriert wurden, trugen sie zur Verteidigung von Anwälten und Frauenrechtsorganisationen bei. Die AKP und ihre ideologischen Gleichgesinnten konnten diese Schutzvereinbarung, die nicht nur Frauen, sondern auch LGTBs und Kinder umfasste, nicht länger tolerieren. Die Entscheidung von Recep Tayyip Erdogan, aus der Istanbuler Konvention auszutreten, ist das Ergebnis dieser Intoleranz.
Es ist bekannt, dass politische Entwicklungen in der Türkei, auf die in Deutschland lebenden über drei Millionen Türkeistämmigen, direkte Auswirkungen haben. Noch dazu ist Gewalt gegen Frauen in Deutschland noch verbreiteter als gedacht. Diese für die Menschheit beschämende Situation, die nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen Ländern Europas mehr oder weniger geläufig ist, ist der Beweis: Die Ungleichheit von Männern und Frauen und die daraus folgende Gewalt gegen Frauen ist im Grunde kein national-kulturelles Problem, sondern ein Merkmal für die kapitalistische Klassengesellschaft. Aus diesem Grund trennen wir unseren Kampf gegen Gewalt gegen Frauen nicht vom Kampf der Frauen für die Gleichstellung und nicht von unserem Kampf für eine egalitäre und gemeinnützige Ordnung gegen diese Ordnung.
Andererseits betonen wir noch einmal die entscheidende Bedeutung der Konvention, die von 45 Ländern und der Europäischen Union unterzeichnet wurde und in der Türkei auf der Straße und zu Hause als Schutzschild gegen die von Tag zu Tag eskalierende Gewalt gegen Frauen dient.
Wir fordern hiermit eine sofortige Rückkehr der Türkei zur Istanbul-Konvention und drücken unsere Solidarität mit den Frauen aus, die trotz aller Schwierigkeiten unseres Landes für diesen Zweck kämpfen.
Kommunistische Partei der Türkei
Deutschland Organisationen