Der Gummizug des deutschen Imperialismus wird weiter gespannt!
ERHAN NALÇACI
Heutzutage steht der imperialistische Kampf um Hegemonie in einer komplexen Balance. Diese multinationale und sich täglich ändernde Balance wird durch die Klassenkämpfe innerhalb der Nationen und Reibungen zwischen diversen Cliquen des Kapitals noch komplexer.
Die Position Deutschlands, ein wichtiger Teil dieser komplexen Balance, wird, obwohl im Vergleich zu Nachkriegsordnung kontrastreicher, nie richtig klar. Sie wirkt wie das Gummi einer Unterhose, wird immer weiter gespannt, ohne dass es reißt.
Schauen wir uns die letzten Entwicklungen an:
Trump gab bekannt, 9500 US-Soldaten aus Deutschland abzuziehen. Es blieben noch über 25000 zurück.
Ob Präsidentschaftswahlen, die steigenden Spannungen in USA-Deutschland-Beziehungen oder der Wunsch der USA, all ihre Kräfte im pazifischen Raum zu konzentrieren dieser Entscheidung führte, konnte man nicht ganz verstehen.
Laut Trump begeht Deutschland ein Fehler, weil es die militärische ausgaben nicht auf bereits versprochenen 2 % seines Bruttosozialprodukts erhöht, weil es den Bau der Erdgasleitung zwischen Russland und Deutschland nicht einstellt, weil es bei der Behinderung des Aufbaus des Chinesischen G-5-Technologie in Deutschland nicht schnell genug ist und weil die Automobilindustrie in Konkurrenz mit den der USA steht.
Auch die Zahl der stationierten Soldaten hat allein keine Bedeutung.
Unter den Ländern, wo die meisten US-Soldaten stationiert sind, kommt Deutschland an die zweite Stelle nach Japan. Die beiden Länder waren in dem Zweiten Weltkrieg besiegt und fielen unter die amerikanische Besatzung. Beide wurden unter der Hegemonie des US-Imperialismus wiederaufgebaut. Sie wurden in Heerlager der Konterrevolution und Belagerung der Sowjetunion verwandelt.
Im Westdeutschland befanden sich etwa 250.000 US-Soldaten. Diese Zahl wurde immer weniger bis zuletzt auf 35000. Dort befanden sich auch die Militäreinheiten der anderen Sieger wie England, Frankreich, Niederland, die gemeinsam Deutschland okkupierten.
Dass dies zu Trübsinn des deutschen Kapitals führte, sei zunächst dahingestellt. Der Zwiespalt, in der sich das Kapital des Landes, das wie ein Sturmbock gegen Sowjetunion getrieben, letztlich besiegt und besetzt wurde, kann nachvollzogen werden. Ein Hin und Her zwischen Sicherheit, Unterlegenheit, und dabei immer die eigenen imperialistischen Ziele in Visier zu haben.
Fahren wir fort mit dem Präsenz der USA in Deutschland:
Abgesehen von der Zahl der Soldaten besitzen die USA sehr wichtige Militärbasen in Deutschland. Die Zentren der Europa- und Afrika Kommandantur der USA befinden sich in Deutschland. All die Operationen werden von hier aus ausgeführt, die Soldaten werden von hier ausgesendet, die Bomber fliegen von hier ab. Es wird sogar davon gesprochen, dass auch die unbemannten Flugzeuge im Nahost von hier gesteuert werden.
Übrigens, wenn die USA dort 35000 Soldaten stationiert haben, für sie arbeiten noch mehr Zivilpersonen.
Während die USA Deutschland wiederaufbauten, formten sie alle Institutionen wie den Nachrichtendienst, die Justiz und die Medien bis zu den Finanzzentren eigens als Stützpunkt der Konterrevolution. Es sieht so aus, dass diese teils geheime Verbindungen des US-Lobby am weiteren Dehnen des Gummizuges ihren Anteil hat.
Zu erwähnen ist die noch Tatsache, dass der größte exterritoriale Nuklearmunitionslager der USA sich in Deutschland befindet, ohne dass Deutschland irgendwelche Befugnisse hat. Etwa wie ein vermietetes Zimmer in einer Wohnung, in dem der Mieter Dynamit deponiert …
In der deutschen Politik wurden Stimmen laut, wie „Ihr sollt zusammen mit den Soldaten auch die Nuklearwaffen nehmen und gehen.“
Seit einer geraumen Zeit zeigen sich Wünsche, um sich unabhängig von den USA -wenn es sein muss, gegen sie- Richtung geostrategische Ziele zu orientieren.
Deutsche Kriegsschiffe in libyschen Gewässern im Rahmen der Irini-Operation sollte als ein Ergebnis dieses Trends verstanden werden.
Wären wir in der Vorkriegszeit gewesen, würde das deutsche Kapital für seine imperialistischen Ziele ohne zu zögern vorstürmen.
In unserer Zeit ist aber der Wetteinsatz sehr hoch. Im Vergleich zum Anteil der USA und China in der weltweiten Produktion bleibt Deutschland als eine regionale Macht, obwohl es das stärkste Industrieland Europas ist.
Unter diesen Umständen bleibt nur ein einziger Weg, um ein imperialistischer Machtanspruch zu stellen. Die EU zusammen- und unter der Führung Deutschlands zu halten.
Die Großzügigkeit gegenüber von Pandemie wirtschaftlich besonders betroffenen Ländern sowie die vermittelnde Rolle, die Deutschland in Verhandlungen einnimmt, sollten unter diesem Aspekt betrachtet werden.
Nun, es ist gar keine leichte Aufgabe, die EU zusammenzuhalten. Auf einer Seite wird die Arbeiterklasse in den südlichen Bereich unruhig; auf der anderen Seite pflegt das Kapital in all den anderen Länder Zweierbeziehungen mit den USA und China. Die Interessen des Nationalkapitals in einzelnen Ländern geraten somit in Konflikt zueinander und droht die Einheit immer mehr.
Unter diesen Umständen spannt sich der Gummizug Deutschlands weiter, ohne zu reißen.
Im Hintergrund schärft die Arbeiterklasse langsam ihre Schere.
ERHAN NALÇACI
(Dieser Artikel wurde 08.08.2020 in der Internet-Zeitung der TKP (www.sol.org.tr) veröffentlicht.