Eine nationale Haltung in Idlib!
Kemal Okuyan
„Würden Sie in Ankara irakische Soldaten sehen wollen?“
Vor mehreren Jahren, als die Besatzung Iraks durch die USA bevorstand und es noch unklar war, ob die Türkei an diesem blutigen Spiel aktiv teilnehmen wird oder nicht wird, hatte die Kommunistische Partei der Türkei diese Frage gestellt und eine dementsprechend verbreitete Plakatierungsaktion im Land durchgeführt. Die Frage war sehr wirkungsvoll und sehr erschütternd.
Auf der Straße begegneten wir Landsleuten, die uns die folgende Frage stellten: „Was soll das denn bedeuten?“. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie nicht an die Tatsache, dass auch in anderen Ländern die Menschen eine Heimat haben, gedacht…
Die gesellschaftlichen Reaktionen und die internationalen Gleichgewichte haben die direkte Teilnahme der Türkei an der Besatzung Iraks verhindert. Allerdings erhöhte sich ab diesem Zeitpunkt die militärische Präsenz der Türkei außerhalb ihrer eigenen Grenzen systematisch.
Hierfür findet man stets Ausreden.
Man möge sich nur die gesamte Geschichte des 20. Jahrhunderts anschauen. Von umfassenden Kriegen, die die Welt erfassten, bis hin zu regionalen Auseinandersetzungen – in allen Fällen hatte die Seite, die ein anderes Land besetzte, eine Ausrede gehabt.
– Zuerst haben sie angegriffen.
– Wir sind für die Herstellung des Friedens hier.
– Wir werden hier die Demokratie etablieren.
– Wir werden so schnell wie möglich das Land verlassen.
– Unsere nationalen Interessen befinden sich unter Bedrohung.
– Wir müssen unsere Rassengenossen schützen.
Es ist schwer, über diese Ausreden zu diskutieren. Denn jede dieser Ausreden ist offen für die Demagogie. Außerdem ist es fast unmöglich, die Waage der Gerechtigkeit anzuwenden. Und jedes Mal werden diese Ausreden begleitet von einer „großmächtigen“ Überheblichkeit. Zwischen den Zeilen offenbaren sich immer eine Kampfansage, eine „Wir-Scherzen-Nicht“-Botschaft und eine annexionistische Dicktuerei. Gegenüber der ausländischen Öffentlichkeit vermarktet man die Opferrolle und die Rechtmäßigkeit der eigenen Handlung, nach Innen hin macht man wiederum Kampfansagen.
In jedem Fall hat der Besatzer fast gar keine Legitimation. Auf der anderen Seite hat der Kampf gegen die Besatzung immer eine Legitimität – die Besatzer sind immer im Unrecht.
Man kann Wörter wie „aber“ oder „jedoch“ einsetzen, aber diese allgemeine Regel ist nicht zu ändern. Es ist sehr schwer für eine bewaffnete Kraft sich reinzuwaschen, falls diese das Territorium eines anderen Landes ohne die Erlaubnis des jeweiligen Landes betritt. Selbst im Fall einer Erlaubnis ist es sehr schwer, die militärische Präsenz im Ausland zu rechtfertigen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein Teil der USA-Militärbasen in Übersee oder der sich an sehr vielen Orten der Welt befindenden USA-Soldaten hat durch bilaterale Abkommen eine gewisse Gesetzlichkeit gewonnen. Trotzdem gibt es eine weit verbreitete Wut gegenüber der militärischen Präsenz der USA. Eine weit verbreitete, berechtigte und historische Wut.
Nun versucht die AKP-Regierung alles, um die militärische Präsenz der Türkei in Syrien, die anhand eines Vertrages oder einer Erlaubnis keineswegs rechtfertigbar ist, zu legitimieren.
– Der Diktator an der Spitze Syriens tyrannisiert sein Volk.
– Es häufen sich an unserer Grenze massenweise Flüchtlinge an.
– Es besteht die Terrorgefahr.
– Diese Gebiete sind ein Teil unseres historischen Erbes.
– Die Sicherheit der Türkei beginnt jenseits ihrer Grenzen.
Es ist wohl möglich, dass all die obigen Ausreden auch von den Nachbarländern der Türkei – beispielsweise von der syrischen Regierung – erwähnt worden sein könnten. Falls also die Ereignisse sich – im Vergleich zur heutigen Situation – umgekehrt hätten, hätten die Patrioten, die Kommunisten der Türkei gegen die Besatzer gekämpft – unabhängig davon, welche Ausreden von den Besatzern produziert worden wären.
Kriege haben ökonomische Ursachen. Schließlich ist es die Profitgier der großen Monopole, die die armen Menschen sich gegenseitig bekriegen lässt. Parallel dazu, gilt folgende Regel: Gegen die Besatzung wird Widerstand geleistet!
Hinzu kommt folgendes: Die ausländischen Mächte, von welchen die Türkei ebenfalls ein Teil ist, sind an erster Stelle verantwortlich für das, was Syrien durchmachen muss (z.B. sind sie dafür verantwortlich, dass Syrien zum Ort dschihadistischer Terroristen wurde, dass dieses Land unmittelbar vor der Teilung steht, dass dieses Land ins Chaos und in den Bürgerkrieg getrieben wurde oder, dass aus diesem Land in die Nachbarländer Massenauswanderungen stattfinden mussten – zusammengefasst sind sie also für all die Probleme, die sie heute als Ausrede der Besatzung Syriens erwähnen, selbst verantwortlich).
Noch zusätzlich ist folgendes der Fall: Nicht nur in Ankara, sondern auch in der gesamten Türkei befinden sich mittlerweile Krieger. Wir wollten es nicht, doch offensichtlich wollten sie bezahlte und dschihadistische Soldaten aus Tschetschenien, Syrien oder Libyen. Auch dies ist eine Art der Besatzung.
Dies ist der Zustand, in welchen das Land durch die AKP-Regierung mit einer „nationalen Haltung“ getrieben wurde. Man darf auch nicht die Beiträge derjenigen Opposition, die „egal was in der Innenpolitik passiert, in der Außenpolitik stehen wir an der Seite der Regierung“ sagte, und derjenigen, die versucht haben aus Erdogan einen Anti-Imperialisten zu machen, vergessen. Hand in Hand haben sie die Türkei in einen dauerhaft gewordenen Krieg integriert.
Aus Idlib kommen Todesnachrichten. Offenbar versucht die AKP die Spannung in Syrien für die Verbesserung der Beziehungen mit den USA auszunutzen. Die AKP bringt die ohnehin sehr chaotischen Gleichgewichte in einen sehr ausweglosen Zustand, indem sie an Washington folgendes sagt: „Schau, ich halte mich an dieser Stelle fest und strenge Assad und Russland an“. Und unsere amerikanistische Opposition reibt sich die Hände und nimmt eine „nationale Haltung“ ein!
Eine „nationale Haltung“, die die NATO zum Einsatz auf dem Territorium eines anderen Landes einlädt!
Kemal Okuyan
(Veröffentlicht in der Internetzeitung der TKP „soL“ am 11.02.2020)
Mitglied der ZK der TKP