Wenn dem Sozialismus die ökonomischen Grundlagen
entzogen werden
Die Zentralplanung von der Sowjetunion
zur DDR
Veli Demirci
Sozialistische Planung oder Planwirtschaft, genauer gesagt die Zentrale Planung, ist ein Organisationssystem zur Fortentwicklung der Produktivkräfte von einer sozialistischen Gesellschaft, in der die Arbeiterklasse die politische Macht innehat, hin zu einer klassenlosen Gesellschaft. Die Planwirtschaft funktioniert auf der Grundlage von politischen Entscheidungen, die im Sinne der historischen Interessen der Arbeiterklasse getroffen werden und bestimmen, welche Sektoren vorrangig behandelt und damit verbunden welche Produktion priorisiert werden soll.
Wie aus dieser Definition hervorgeht, ist die zentrale Planung kein technisches Werkzeug für die Produktion, sondern ein politisches Instrument, welches außerdem ein grundlegendes Instrument der Macht der Arbeiterklasse ist.
Was und wie es produziert werden soll und auf welche Sektoren man sich konzentrieren sollte, wird im Kapitalismus gewinn- und Konkurrenzorientiert und auf Grundlage von systematischen Krisen bestimmt. In der Planwirtschaft jedoch, wird die Produktion und ihre Umwandlung durch strukturelle Maßnahmen gewährleistet, die auf Objektivität beruhen, jedoch nicht an sie gebunden sind.
Kämpfe und Interventionen dienen daher zur Abschaffung der Regelungen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und nicht zur Missachtung von gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten. Daher ist die zentrale Planung der effektivste Mechanismus zur Erlangung der Macht der Arbeiterklasse.
DIE ZENTRALPLANUNG IN DER SOWJETUNION
Mit dem Ende des Bürgerkrieges im Sowjetrussland wurde 1921 die Planungsabteilung GOSPLAN eingerichtet. In jenem Jahr, indem die NEP-Periode begann, war die Wirtschaft des Sowjetrussland zusammengebrochen und nur wenige Unternehmen konnten noch aktiv sein. Der „NEP“ bedeutete, dass das Land ein bisschen aufatmen und die Märkte sich erholen konnten. Aber die Durchführung der Planung und die effektive Nutzung von GOSPLAN wurden durch Diskussionen verhindert.
Die zentralisierte Planung wurde erst Ende 1927 wirksam. 1928 wurde der Erste Fünfjahresplan (FJP) erstellt und trat in Kraft. Es sollte auch daran erinnert werden, dass die NEP-Periode 1928 definitiv zu Ende ging und in dem Jahr die Kollektivierung in der Landwirtschaft begann. Die ersten FJP-Ziele wurden nach 4 Jahren erreicht. Während die Ökonomen der kapitalistischen Welt behaupteten, dass die Umsetzung der FJP ineffizient sei, setzten die Sowjets ihren Weg fort, ohne von der Großen Depression der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder von 1929 betroffen zu sein.
So war die UdSSR mit einer zentralen Planung in einem sehr kurzen Zeitraum von 12 bis 13 Jahren, von einem rückständigen Agrarland zu einem Industrieland und einer effektiven Schwerindustrie geworden. Darüber hinaus erwies sich die Kriegsindustrie der Sowjets während dem Zweiten Weltkrieg, sogar dem mächtigsten imperialistischen Land Europas, dem nationalsozialistischen Deutschland als überlegen.
So hatte die sowjetische Planwirtschaft, in Zeiten des Friedens und des Krieges ein Vierteljahrhundert andauernde Praxis erreicht. Dank der Planung konnten bei Kriegsende, im Westen des zerstörten Landes in kürzester Zeit 15 Großstädte und mehr als 30.000 Industriebetriebe wieder fast neu gebaut werden.
Die Auswirkungen dieses Erfolgs traf nicht nur in den neu gegründeten sozialistischen Ländern Osteuropas auf Resonanz, sondern auch bei den Arbeitern und Intellektuellen der entwickelten kapitalistischen Länder. Dies war eines der Gründe, warum der von den Vereinigten Staaten und Großbritannien angeführte imperialistische Block den Kalten Krieg auslöste.
Die Überlegenheit der Sowjetunion entstand durch die zentrale Planung. Auf diese Weise konnten die Ressourcen der zentralisierten Wirtschaft sehr schnell in die gewünschten Gebiete kanalisiert und große Industrieinvestitionen, die fortschrittliche Technologie für zivile oder militärische Zwecke erforderten, in sehr kurzer Zeit geplant und umgesetzt werden. Da die zentrale Planung zudem auch für den öffentlichen Sektor galt, konnte auch mit der Ausbildung der not- wendigen Fachkräfte rechtzeitig begonnen werden.
DER ABSCHIED VON DER ZENTRALPLANUNG
1953 starb Stalin. Der 20. Parteitag der KPdSU im Jahre 1956 leitete eine große Anti-Stalin-Kampagne ein. Nicht nur der unterdrückende Charakter dieser Zeit rückte in den Vordergrund, auch die wirtschaftlichen Praktiken waren betroffen.
Warum rückte die Revision der zentralen Planung in den Fokus, obwohl sie sich bis dahin als Erfolg erwies, es in den sozialistischen Ländern kein wirtschaftliches Problem gab und sie in den imperialistischen Ländern sogar als echte Bedrohung empfunden wurde? Zunächst ist anzumerken, dass diese Debatte unter Ökonomen begann. Wenn man nun die Praktiken der Stalin-Ära aufgab und zurück zu den Praktiken der „Lenin-Ära“ fand, brauchte es ja auch in der Wirtschaft keine strenge zentrale Planung mehr. Der Plan sollte den Unternehmen die allgemeine Richtung aufzeigen, die erforderlichen Ressourcen bereitstellen und die Unternehmen sollten das festgelegte Ziel in eigener Verantwortung erreichen. In der Produktion wurde Menge durch Gewinn ersetzt. Nachdem das Produktionsziel erreicht worden war, wurden die zunehmenden finanziellen Ressourcen und auch diese nach eigenem Ermessen zu verwenden, dem Unternehmen überlassen.
Die zentrale Planung hatte große Erfolge erzielt. Dies wurde akzeptiert, aber das Argument war, dass Planer in einer entwickelten Industrie alle Details eines jeden Geschäfts nicht beherrschen und daher auch nicht planen könnten. Selbst wenn eine Planung möglich sei, hätten die Unternehmensleiter, die im Plan geforderten, Maßnahmen ergriffen, jedoch Initiativen zur Verbesserung der Technologie gemieden.
So wurden die ersten Versuche in diese Richtung in der UdSSR und anderen sozialistischen Ländern eingeleitet. In den frühen 1960er Jahren verlangsamte sich die Produktion und damit der Anstieg des Lebensstandards in allen sozialistischen Ländern.
DIE ZENTRALPLANUNG IM SOZIALISTISCHEN DEUTSCHLAND
Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) kündigte 1948 an, dem Beispiel der zentralen Planung der Sowjetunion zu folgen.
In den Anfängen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurden trotz der sehr hohen Kriegsentschädigungen und die von den imperialistischen Ländern auferlegten Embargos, die den Aufbau der Industrie erschwerten, bemerkenswerte wirtschaftliche Erfolge erzielt.
Die Zweiteilung Deutschlands mit der Niederlage und dem Zusammenbruch, ermöglichte auch einen Vergleich zwischen der Marktwirtschaft und der sozialistischen Wirtschaft, anhand der Beispiele des kapitalistischen und des sozialistischen Deutschlands. Ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre konnten auch westliche bürgerliche Ökonomen, die wirtschaftlichen Errungenschaften und die Vergleichbarkeit der Entwicklungen in vielen Sektoren der DDR mit der Bundesrepublik Deutschland, nicht mehr ignorieren.
Es war undenkbar, dass die Initiativen zu der Wirtschaftsreform in der Sowjetunion die DDR nicht beeinflussen würden. Obwohl die Investitionen der Schwerindustrie nicht nachließen, ging man mit der BRD über Konsum und Konsumgüterindikatoren ein Wettbewerb ein und sprach ehrgeizige Versprechen aus.
In den Jahren 1963-64 wurde „der neue wirtschaftliche Planungs- und Verwaltungsmechanismus“ verabschiedet. Es schien ein Experiment zu sein. Ein ähnlicher Schritt wurde 1966 auch mit den Kosygin-Reformen in der UdSSR unternommen.
In den Empfehlungen der Experten zur Reformentscheidung in der DDR hieß es, es sei neben den Determinanten des Profits auch eine Konzentration auf den Marktaspekt erforderlich.
Zu Beginn der 1960er Jahre zog der Begriff von „wissenschaftlich technischer Revolution“ in die Debatten über Planung in den sozialistischen Ländern ein. Dieser Begriff hatte in kürzester Zeit, etwa die gleiche unabhängige Bedeutung wie „Gemeinsam in Frieden leben“ erlangt. Die komplexen Probleme von Wissenschaft und Technik wären von Experten auf diesem Gebiet zu lösen. Mit anderen Worten, die Politik (kommunistische Partei) sollte sich damit zufriedengeben, nur einen Handlungsrahmen festlegen zu können und höchstens eine leitende Funktion zu haben. Somit wurde Planung zu einem technischen Thema.
Dieser Ansatz wurde Ende der 1960er Jahre, insbesondere, als 1971 Honecker SED-Generalsekretär wurde, teilweise aufgegeben. Obwohl allgemein die Konterrevolution in der Tschechoslowakei hierfür als verantwortlich angenommen wird, bestand das Hauptproblem darin, dass das angestrebte Ziel verfehlt wurde.
Ziel der Reform zur zentralen Planung der DDR war es, die Distanz zwischen der DDR und den technologisch fortgeschrittenen imperialistischen Ländern in kürzester Zeit zu schließen. Dafür mussten die Ressourcen durch zentrale Planung in die benötigten Bereiche kanalisiert werden. Dies erforderte mehr Investitionen in Industrie und Forschung&Entwicklung als in den Konsum. Dass die Werktätigen nicht für mehr materielle Anreize, sondern für das Wohl der Gesellschaft arbeiten, war die zentrale Aufgabe des ideologischen Kampfes. Und hierzu musste der ideologische Kampf auch mit den imperialistischen Ländern nachhaltig fortgesetzt werden. Die Zeit war eine Zeit der „Entspannung“. Als der ideologische Kampf sich „entspannte“, ließ auch die Planung nach.
Der Verzicht auf Reformen hat die zentrale Planung nicht automatisch gestärkt. Die Auslandskredite wurden anstatt für die Industrie, für die Konsumgüterbranche verwendet. Die Importe stiegen. Die Arbeiterklasse, die ideologisch nicht befriedigt werden konnte, sollte durch Konsum befriedigt werden. Und dies schaffte eine Durchlässigkeit von äußeren Einflüssen auf die Arbeiterklasse.
Der ausgelöste Teufelskreis war nicht mehr zu durchbrechen. 1989 also ging weder die Wirtschaft bankrott noch die zentrale Planung brach zusammen, auch wenn ihre Wirkung nachließ. Nur die Kader der Partei hatten ihren Kampfgeist verloren. ■