Artikel über die DDR

Bildung in der sozialistischen Republik:
Eine Erfolgsgeschichte

Eine Frage der Klasse

Nazlı Cihan

Als im Herbst 1989 die Berliner Mauer fiel, verschüttete es auch das Bildungssystem der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gleich mit. Über die Jahre hinweg löste sich der Staub auf und dank des soliden Fundaments und trotz einiger Verluste und Schäden wurde deutlich, dass nichts vom Ansehen und der Wirkung des prägenden Bildungssystems der DDR, abgekommen war. Für das geschulte Auge ist klar sichtbar, wie dieses dem Westen heute immer noch die lange Nase macht.

Nehmen wir beispielsweise Peter Scholze. Es ist sicher kein Zufall, dass Peter Scholze, der 1987 in Dresden zur Welt kam und das Heinrich-Hertz-Gymnasium besuchte, im Jahr 2018, mit nur 31 Jahren einen der Fields-Medaillen, welches das Nobelpreis der Mathematik ist und nur alle vier Jahre durch das International Congress of Mathematics (ICM) verliehen wird, erhalten hat. Dass Michael Rapoport, der Doktorvater des jungen Wissenschaftlers, der neben seiner Professur an der Universität Bonn auch als Direktor am Max-Planck-Institut für Mathematik tätig ist, ebenfalls das Heinrich-Hertz-Gymnasium besucht hatte, ist auch kein Zufall. Ja, Michael Rapoport, einer der weltweit arriviertesten Mathematiker hatte dieselbe Schule wie sein Schüler besucht, allerdings zu einer anderen Zeit, unter einem anderen Bildungssystem. Rapoport war vor der deutschen Wiedervereinigung Schüler am Heinrich-Hertz-Gymnasium gewesen, Scholze jedoch nach der Wiedervereinigung. Das Heinrich-Hertz-Gymnasium, das zu DDR-Zeiten eines der EOS (Erweiterte Oberschule) Spezialschulen mit Schwerpunkt Mathematik-Naturwissenschaften-Technik in Ost-Berlin war, sollte auch nach der Wende diesen Status und diese Eigenschaften einer Spezialschule beibehalten. Man könnte sagen, nur der Name wurde geändert. Kein Zufall hatte es also bewirkt, sondern die Grundlagen, welche durch eine solche Schule gelegt werden konnten. Und es ist sicher auch kein Zufall, dass die ostdeutschen Bundesländer in der PISA-Studie seit Jahren besser abschneiden als die westdeutschen Bundesländer. Erfolgreiche Schüler*innen, versierte Lehrer*innen und qualifizierte Schulen… Das alles ist kein Zufall.

Aber was war das Geheimnis? Was hatte die DDR richtig gemacht? Woher kam die Kraft, das den Satz „Wir würden es jederzeit wieder tun!“ als Herausforderung stellte? „Ein gut strukturiertes Bildungssystem, das klare Ziele anstrebt“, wäre ohne Zweifel die erste Antwort auf diese Fragen. Das wäre aber auch eine zu einfache und viel zu allgemeine Darstellung.

NATURWISSENSCHAFTEN UND MATHEMATIK

Bevor wir uns auf die Suche nach befriedigenden und faktischen Antworten machen, ist es hilfreich, einen vergleichenden Blick auf die aktuelle Lage der Schulleistungen nach Bundesländern zu werfen, um am Beispiel der Naturwissenschaften und Mathematik einige Schlussfolgerungen zu ziehen:

Die Untersuchung zeigt, dass die Bundesländer Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und mit leichten Abstrichen Brandenburg die klaren Sieger dieser Studie sind (mehr dazu im Quellenverzeichnis). Diese Bundesländer liegen in allen vier Fächern signifikant über dem deutschen Durchschnitt und beziehen somit die oberen Ränge der Platzierung. Hamburg, Bremen und das bevölkerungsreiche Nordrhein-Westfalen sind die Bundesländer, die sich in allen vier Fächern auf den hinteren Rängen platzieren und somit eindeutig unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Diesen Ergebnissen nach würde jeder zehnte Bremer keinen Hauptschulabschluss schaffen. So drastisch die Ergebnisse auch sind, überraschend sind sie nicht, da Bremen bereits seit der ersten PISA-Auswertung von 2004 den letzten Platz in der Regierung einnimmt. Die neue Studie von 2012, die bundesweit knapp unter 44.600 Schüler*innen der neunten Klasse durchgeführt wurde, hat nun bestätigt, dass in Bremen einer von zehn Neuntklässlern an den Mindestanforderungen für den Hauptschulabschluss scheitern würde. Im Siegerland Sachsen teilt dieses Schicksal nur jeder hundertste Schüler. Die Forscher sind sich fast einig darüber, dass der sozioökonomische Status der Familien die wichtigste Rolle bei den Kompetenz- unterschieden spielt. Eine andere Erklärung für die Auswirkung der Familiengeschichten auf den Schulerfolg, unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund, ist, dass Kinder mit zwei im Ausland geborenen Eltern signifikant schlechtere Ergebnisse erzielen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Phänomene wie Einwanderung und Armut als die größten Hindernisse für den Schulerfolg fest- gesetzt werden. Für das gute Abschneiden der Ost-Bundesländer haben die Bildungsexperten auch eine gute Erklärung: die mathematisch-naturwissenschaftliche Lehr- und Lerntradition der DDR.

Nachdem die DDR aufgehört hat, als ein souveräner Staat zu existieren, wurden wie in allen Institutionen auch im Bildungssystem rasante strukturelle und rechtliche Veränderungen vollzogen. Vor allem in das Bildungssystem musste man sofort eingreifen, denn zum Zeitpunkt des Mauerfalls, dass symbolisch für den Zerfall der DDR stand, hatte bereits vor Wochen das Schuljahr begonnen. Jedes neue Bundesland, dass der Bundesrepublik „beigetreten“ war, bekam ein westdeutsches Partnerland. Baden-Württemberg war das Bildungspartnerland von Sachsen. In dieser Partnerschaft sollte das Bildungssystem von Sachsen dem Bildungssystem von Baden-Württemberg angepasst werden, indem die Unterrichtsinhalte und das Schulwesen, sowohl in rechtlicher und formaler als auch in methodischer und praktischer Hinsicht übertragen wurden. Lehrpläne und Lehrbücher sollten von A bis Z geändert und Lehrer durch Intensivkurse und Fortbildungen kalibriert werden, damit eine Anpassung an die neue Ordnung stattfinden konnte. Das war der Plan, der so auch umgesetzt wurde, wodurch die Unterschiede zwischen den beiden Bildungssystemen immer deutlicher wurden.

FOKUS AUF ZENTRALISIERUNG

Der größte Unterschied war, dass das Bildungswesen in der DDR zentral organisiert wurde und der Staat den Fokus auf die Zentralisierung setzte. Dies bedeutete zum einen, dass konfessionelle oder private Bildungseinrichtungen kein eigenes Bildungsangebot aufstellen konnten und dadurch diesen der Zugang in das Bildungssystem versperrt wurde. Zum anderen, dass ausschließlich der Staat die Vollmacht besaß, anhand verbindlicher Lehrpläne die Gestaltung der Lehrinhalte und der Bildungsformen zu bestimmen. Nah oder fern, in allen Schulen landesweit wurde für jedes Fach ein gemeinsamer Lehrplan angewandt. Dasselbe galt auch für die Schulbücher. Im ganzen Land wurden in den gleichen Klassenstufen die gleichen Lehrbücher verwendet. Der zweite gravierende Unterschied war, dass laut des Grundsatzes „Einheit von Bildung und Erziehung“, alle Schüler*innen einheitliche Schultypen besuchten. 1959 wurden die obligatorischen Grund- und weiterführenden Schulen, die in den Gründungsjahren der DDR eine Dauer von 8 Jahren vorsahen, mit einer Reform in polytechnische Oberschulen (POS) mit 10-jähriger Schulpflicht umgewandelt. Für das Abitur mussten die Schüler*innen in die erweiterte Oberschule (EOS) wechseln. Abgesehen von diesen Schulen gab es für die Förderung von Ausnahme-Schüler*innen zwei Schularten, in denen eine spezifische Ausbildung angeboten wurde: Eine von diesen Schulen waren Sonderschulen mit sonder- pädagogischen Maßnahmen für körperlich oder geistig behinderte Kinder. Die anderen waren Spezialschulen zur Begabtenförderung für besonders begabte Schüler*innen. Neben den allgemein bekannten Russischschulen, den Kinder- und Jugendsportschulen gab es weitere Spezialschulen für Musik, Mathematik, Naturwissenschaften, Elektronik und neue Sprachen. In diese Spezialschulen konnte in verschiedenen Klassenstufen gewechselt werden. Jede dieser Spezialschulen waren staatliche Schulen. Die Einheitlichkeit des Bildungssystems trug zur Chancengleichheit bei und hatte die Auswirkung, den Leistungsdruck auf Schüler*innen zu beseitigen und das Wettbewerbsverständnis gänzlich auszuschließen. Ein weiterer Unterschied und eine wichtige Ausführung war die Schulgeldfreiheit. Dies umfasste nicht die Lernmittelfreiheit, jedoch wurden im Sinne einer Vereinheitlichung die Lernmittel staatlich vorgegeben und von staatlicher Seite subventioniert. Für finanzschwache Familien bestand die Möglichkeit, die Lernmittel kostenlos zu erhalten.

Betrachtet man das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland, lässt sich ein ganz anderes Bild erkennen: Allem voraus, durch die politische Struktur der Bundesrepublik Deutschland erlaubt es das Grundgesetz den Ländern, eigenständige Schulsysteme zu erlassen. Trotzdem existieren zur Weiterführung der 4-jährigen Grundschulen in fast allen Bundesländern die drei Schultypen Hauptschule, Realschule, Gymnasium. Ebenso ermöglicht die selbst- ständige Regierungsverteilung, die der deutsche Staat den Ländern gewährt, abweichende Rahmenrichtlinien für den Unterricht in den Schulen zu erstellen. Durch unterschiedliche Strukturen und Ausführungen in den Schulen bereitet diese föderale Vielfalt politische Probleme in der Wertigkeit und Anerkennung der Qualifikationen. In der BRD bestehen ungefähr 16 unterschiedliche Schulsysteme, die eine politische Koordination und Organisation verlangen, um den Schüler*innen einen reibungslosen Übergang von einem Schulsystem ins andere zu ermöglichen. Angesichts der zentralen Bildungspolitik bestanden in der DDR diese Schwierigkeiten nicht für Schüler, bzw. für die Politik. Auch, was die Schulbücher betrifft, besteht in der Bundesrepublik Deutschland dasselbe Problem: Die Dezentralisierung des Schulsystems bringt es mit sich, dass die Lernmittel von den Schulen frei wählbar sind und in der Entscheidung der Lehrer, bzw. des Fachkollegiums liegen. Infolgedessen erweisen sich gravierende Unterschiede bei der Auswahl von Schulbüchern, selbst an Gymnasien in ein und derselben Stadt. Insgesamt waren in der DDR die Fächer besser untereinander abgestimmt und den Lehrplänen präzise angepasst. Im Vergleich zum Bildungssystem der DDR können als wesentliche Ursachen für Probleme in der Bildungsstruktur der Bundesrepublik Deutschland die föderale Struktur und die dezentrale Bildungspolitik hervorgehoben werden.

Von der Krippe bis hin zur Hochschule war das gesamte Bildungswesen der DDR als einheitliches sozialistisches Bildungssystem definiert. Von diesem Grundansatz ausgehend waren die konkreten Zielsetzungen ausformuliert. Unabhängig von Geschlecht, Abstammung und sozialer Herkunft sollten alle Kinder und Jugendlichen gleiche Zugangschancen zu den Bildungsmöglichkeiten der DDR haben, was auch zur Aufhebung des Bildungsgefälles zwischen Stadt und Land beigetragen hat. Gestaffelte Bildungseinrichtungen als ein einheitliches System zu etablieren, sollte bezüglich des Aufbaus, der Inhalte und Ziele, inklusive einheitlicher Lehrpläne und Lehrbücher, die Einheitlichkeit des Bildungssystems ermöglichen.

Um eine allseits begabte sozialistische Persönlichkeit zu entwickeln, sollten alle Kinder nach ein und demselben Bildungskonzept eine gleichwertige und damit auch im Wesentlichen gleichartige Allgemeinbildung hohen Niveaus erwerben.

Wie die oben aufgeführte Studie zeigt, sind ostdeutsche Schüler*innen in Mathematik und Naturwissenschaften in den Kompetenzen und der Leistungsfähigkeit ihren Altersgenossen weit voraus. Das hat einen einfachen Grund: Sie bekommen besseren Fachunterricht, nach wie vor und trotz allem.

Quellenverzeichnis

-https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/bildungsmonitor-deutschland-sachsen-top-bremen-flop-a-1223263.html

-https://www.insm-bildungsmonitor.de

-https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/pisa-studie-deutsche-schueler-landen-auf-platz-16-von-72-a-1124530.html

-https://haber.sol.org.tr/bilim/peter-scholze-fields-madalyasi-alan-en-genc-matematikcilerden-biri-244804

-https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/laendervergleich-ostdeutsche-schueler-in-mathe-besser-als-westdeutsche-a-927216.html